Lehrer sein: Die richtige Balance zwischen Nähe und Distanz

 

Jeder Lehrer erlebt in seinem Alltag zahlreiche Konfliktsituationen. In der Schule hat man es immer wieder mit Streitereien auf dem Pausenhof, im Klassenzimmer, Mobbing oder Autoritätsproblemen zu tun. Manchmal scheinen solche Konflikte aussichtslos zu sein. Die Situation wirkt erstarrt, alles scheint verfahren. Gerade als junger Lehrer fühlt man sich dann oft hilflos. Denn traditionelle Reglementierungen wie Schulverweise, Nachsitzen, Strafarbeiten und ähnliches laufen meist ins Leere. Eine wirklich nachhaltige Konfliktlösung gelingt nur, wenn Lehrer die richtige Balance zwischen Nähe und Distanz zu ihren Schülern finden. Gebraucht wird dafür ein gutes Maß an Beziehungskompetenz, das heißt die Fähigkeit, in Konfliktsituationen in einen konstruktiven Dialog miteinander zu treten. Doch während die Fachkompetenz bei den allermeisten Lehrern sehr professionell ist, wurde die Ausbildung der Beziehungskompetenz im Studium meist vergessen. Dem kann entgegengewirkt werden unter anderem mit Coachings oder auch mit einer guten Selbstreflexion.

Grundsätzlich gilt: immer wenn zwei Menschen etwas unterschiedliches wollen, befinden sie sich schon in einem Konflikt. Wenn sich beide darüber austauschen, dann verschwindet der Konflikt wieder. Wichtigste Voraussetzung für einen konstruktiven Lehrer-Schüler-Dialog ist dabei Authentizität. Denn häufig agierten Lehrer ausschließlich auf Basis ihres Rollenverständnisses als Lehrer. Sie denken, sie müssten aus ihrer Lehrerrolle heraus sich in einer bestimmten Art und Weise verhalten, auch wenn das nicht zu ihrer eigenen Befindlichkeit passt. Ein konkretes Beispiel: Rauchen ist bekanntermaßen ungesund und auf dem Schulgelände in der Regel verboten. Wenn Jugendliche auf einem Gymnasium oder einer Berufsschule trotzdem rauchen, werden die meisten Pädagogen darauf zu pochen, dass die Nichtraucherregel eingehalten wird. Problematisch wird die Situation allerdings, wenn der Lehrer selbst ein Raucher ist. Dann nämlich kommt er in einen inneren Konflikt und agiert nicht wirklich authentisch. Das merken die Jugendlichen und werden die Forderung, nicht auf dem Schulgelände zu rauchen, bei der nächsten Gelegenheit einfach ignorieren.

Oder ein anderes Beispiel: Ein verhaltensauffälliges Kind stört permanent den Unterricht. Es wiederholt aufzufordern, ruhig zu sein, wird keinen langanhaltenden Erfolg zeigen. Der Lehrer könnte aber auf das Kind zugehen und sagen: Ich merke, dass Du unruhig bist. Was stört Dich? In diesem Fall wird kommt ein Dialog zustande, der zum Ausweg führen kann.

Schüler spüren ambivalente Situationen, in denen sich der Lehrer hinter seiner Lehrerrolle versteckt und dabei eigene Bedürfnisse und Gefühle unterdrückt. Und wenn Lehrer nur noch als Ausführende des Systems Schule wahrgenommen werden, verschärfen sich die Konfliktsituationen. Aus Sicht der Schülers ist man als Teil des Schulsystems immer „mächtiger“ als eine konkrete Person. Gegen diese Übermacht, bleibt dem Schüler oft nur Resignation oder eben die „Revolte“.

Um in einen Dialog treten zu können, brauchen Schüler also ein authentisches Gegenüber. Sie wollen wissen, Lehrer wo bist Du wirklich? Durch die Echtheit lernen die Kinder, was es heißt, selbst-verantwortlich anderen gegenüber zu begegnen. Das klappt nur, wen Lehrer als erstes das Versteckspiel hinter all den „man sollte“ oder „man darf nicht“ aufgeben und in eine persönlichen Verantwortung mit persönlicher Sprache in Beziehung zu den Kindern und Jugendlichen treten.

Neben Authentizität ist auch das Stichwort Gleichwürdigkeit wichtig. Gemeint ist ausdrücklich nicht Gleichheit oder Gleichberechtigung, denn in der Begegnung zwischen Erwachsenen und Kindern trägt immer der Erwachsene die Verantwortung für die Qualität der Beziehung. In der Schule hat der Lehrer mehr Macht im Kommunikationsprozess, er hat die Definitionsmacht des „Abbrechens“, er bestimmt über die Ressourcen, den Ort der Kommunikation und vieles mehr. Insofern ist die Beziehungen zwischen Lehrer und Schüler keine gleichberechtigte im engeren Sinne.

Das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern sollte jedoch ein gleichwürdiges sein. Denn Gleichwürdigkeit wird dem fundamentalen Bedürfnis aller Menschen gerecht, gesehen, gehört und als Individuum ernst genommen zu werden. In gleichwürdigen Beziehungen werden die Wünsche, Anschauungen und Bedürfnisse beider Partner registriert. Die Entscheidung trifft letzten Endes zwar meistens doch der Erwachsene, aber erst, nachdem er die Meinungen der Kinder gewürdigt und ernst genommen hat. Wenn die eigene Integrität gewahrt ist, dann kooperiert der Mensch gerne mit anderen und kann persönliche Verantwortung übernehmen. Das wiederum ist die Voraussetzung, damit Kinder und Jugendliche auch aktive Mitverantwortung für andere und die Schulgemeinschaft tragen.